Unsere internetfeindliche Elite
Im Rahmen einer Pressekonferenz während des Besuches von Präsident Obama in Berlin sprach Kanzlerin Merkel davon, dass das Internet "für uns alle Neuland" sei. Ein Satz, der eine erwartungsgemäß heftige Reaktion in den sozialen Netzwerken hervorrief.
Recht spät reichte der Regierungssprecher eine Klarstellung nach:
Zur Neuland-Diskussion: Worum es der Kanzlerin geht - Das Internet ist rechtspolitisches Neuland, das spüren wir im polit. Handeln täglich.
— Steffen Seibert (@RegSprecher) June 19, 2013
Ich gebe zu, ich habe mich auch sehr schnell zu einer Reaktion hinreissen lassen, den Satz eins zu eins für bare Münze genommen und mich aufgeregt. Die Klarstellung des Regierungssprechers und die Interpretation von Christian Wohlrabe besänftigen mich allerdings nur zum Teil.
Was sie eigentlich sagen wollte
Laut Christian Wohlrabe wollte die Kanzlerin eigentlich nur eine diplomatische Wendung finden, durch die sie den globalen Lauschangriff der Amerikaner mit ein wenig Watte umpacken kann. Wenn dem so ist: Dem Ziel kann ich nicht beipflichten. Im Nachgang zum 11. September haben die amerikanischen Politiker die letzten Hemmungen fallen lassen. Bush bereitete den Weg in einen demokratisch verbrämten Polizeistaat. Die sicherheitspolitischen Werkzeuge der USA unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen des Iran, Ägyptens oder Chinas. Das soll ein leuchtendes Vorbild der Demokratie sein? Das ist das Land, dem wir den Wandel der vormals antidemokratischen in eine demokratische Kultur zu verdanken haben?
Wenn wir uns tatsächlich unter Freunden befinden - das muss ich mittlerweile bezweifeln - dann wäre Ehrlichkeit und nicht verbrämende Diplomatie angebracht. Dann muss man offen aussprechen, dass es nicht unserer Vorstellung von Demokratie entspricht, einfach jeden Menschen unter Generalverdacht zu stellen.
Ist dem so?
Aber ist dem eigentlich so? Ist das unsere Vorstellung von Demokratie? Ich fürchte, hier wird sich ein großer Graben zwischen den Bürgern und der politischen Elite auftun. Insbesondere die Innenpolitiker aller Parteien scheinen feuchte Augen bei dem Gedanken zu bekommen, sie könnten nun endlich jedem Bösewicht auf die Schliche kommen, weil jeder Mensch einfach überwacht werden kann. Ganz ohne Spitzel, wie noch bei der Stasi.
Was sie eigentlich meinte
Laut des Regierungssprechers meinte die Kanzlerin, das Internet sei noch rechtspolitisches Neuland für uns. Da schimmert für mich ein wenig die Leier vom rechtsfreien Raum durch. Um es noch einmal klar zu sagen: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum! Wer das behauptet, hat entweder keine Ahnung oder möchte täuschen.
Allerdings fehlt sicherlich eine vernünftige Regulierung und gesetzliche Fundierung des Internet. Diese ist zudem nicht leicht, denn schliesslich macht das Internet nicht an unseren Grenzen halt. Das ist jedoch keine neue Erkenntnis. Man hätte sich dem schon in den letzten zwanzig Jahren widmen können.
Das Internet geht nicht mehr weg! Es ist integraler Bestandteil unserer Wirtschaft. Unserer internetfeindlichen Elite kann ich nur zurufen: "Das ist eine Tatsache. Lebt damit. Akzeptiert es. Und entschuldigt Euch dafür, dass ihr es die letzten Jahre ignoriert habt. Und jetzt fangt an, in den Dialog mit Menschen zu treten, die mit diesem Medium leben und arbeiten!"
Lebenswirklichkeiten
Unsere Lebenswirklichkeiten differieren stark. Nicht jeder Politiker kann zu allen Problemfeldern eigene Erfahrungen beisteuern. Deshalb lässt er sich von Betroffenen informieren, macht sich kundig. Das geht dem Städter so, wenn er eine Entscheidung treffen soll, die das bäuerliche Leben auf dem platten Land betrifft. Und das sollte ebenso gelten, wenn das Internet Gegenstand der Entscheidung oder Beratung ist.
Aber im Gegensatz zur Landwirtschaft muss ich davon ausgehen, dass jeder Abgeordnete mit dem Internet in Berührung kommt. Denn der Job eines Politikers ist die Kommunikation. Um nichts anderes geht es. Und wie kommunizieren wir heute? Neben Telefon und dem Fax (nutzt das echt noch jemand?) steht das Internet ganz vorne. Denn selbst der verbohrteste Internet-Feind aus der CSU wird sicherlich per E-Mail kommunizieren.
Und doch fremdeln offenbar viele Politiker mit diesem Medium. Ich nehme an, dass in einem ersten Schritt der Computer als feindliches Wesen erkannt wird. Und in einem zweiten Schritt ist dann das Internet zu gross und unübersichtlich, als dass es als freundlicher, hilfreicher Raum akzeptiert würde.
Wir brauchen eine Diskussion
Wenn wir doch eine echte Diskussion über das Internet hätten. Auf der einen Seite stehen Menschen, die mit dem Medium leben, damit umgehen und um seine Stärken und Schwächen wissen. Auf der anderen Seite stehen politische Entscheidungsträger, für die das Internet auch in Zukunft eine feindliche Welt, halt Neuland, bleiben wird.
Solange kein echter Dialog gewünscht ist, bleiben Frontstellungen. Dann sind Hohn und Spott das Einzige, was bleibt, um den Schmerz der eigenen Hilflosigkeit zu überdecken.
Digitales Entwicklungsland
Wir leben in einem digitalen Entwicklungsland. Wir haben eine internetfeindliche Elite. Der ehemalige Telekommunikations-Monopolist droht damit, die Netzneutralität mit Füssen zu treten. Die politischen Reaktionen sind aktuell nur billiges Wahlkampfgetöse. Echte Konsequenzen scheinen nicht geplant zu sein.
Schnelle Internetzugänge sind noch immer keine Selbstverständlichkeit. Unsere Politiker schwingen zu passenden Anlässen hübsche Fensterreden. Aber sie haben nicht verinnerlicht, dass schnelle und sichere Internetverbindungen mindestens genauso eine wichtige Infrastrukturmassnahme sind, wie Strassen und Zugverbindungen. Wo ist die Investition des Staates in unsere Zukunft?
Als ich vor zwei Jahren in der Provence in einem kleinen Ort in einem Café sass, war kostenloses WLAN selbstverständlich. Fährt man in Stockholm mit dem Bus vom Flughafen in die Stadt, hat man kostenloses WLAN. Mittlerweile ist in vielen Städten dieser Welt kostenloses WLAN Realität oder in Planung. In Deutschland muss man nach all dem suchen. Dagegen spricht u.a. die "Störerhaftung", die der Bundestag als Gesetzgeber einfach streichen könnte. Aber es passiert nicht.
Andere Agenda
Unsere Entscheidungsträger haben eine komplett andere Agenda, als diejenigen, die das Internet gerne und selbstverständlich nutzen. Denn da sie es als feindliches Gebiet identifizieren, können sie es auch missbrauchen. Und so wachsen Überwachungsphantasien bei den Innenpolitikern, die mit Demokratie und Sicherheit nichts mehr zu tun haben. Es geht hier nur um "Anything goes". Unsere Eliten wollen sich nicht mit dem Internet auseinandersetzen. Deshalb wird es für sie immer "Neuland" bleiben. Die Bevölkerung wird dieses Neuland währenddessen schon längst erkundet haben. Es ist schlimm anzusehen, wenn "Eliten" Nachzügler sind.